Was sagen die Menschen auf der Straße?

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Was sagen die Menschen auf der Straße?

Autor und Texter Lutz Sehmisch
Veröffentlicht von Lutz Sehmisch in Politik · Dienstag 25 Okt 2022
Die Lage der Menschen, auch in Deutschland, ist dramatisch und viele wissen, wie auch ich, um die Gründe. Ich will die Militarisierung der Gesellschaft, die sture Friedensverweigerung der Eliten, deren Absage, diplomatisch, sachlich und verbindend zu sein, nicht hinnehmen. Der fortlaufende Krieg in der Ukraine beinah direkt vor unserer Haustür und die zahlreichen ukrainischen Geflüchteten im eigenen Land – diese Katastrophe zu beenden, das ist dringend geboten. Die Wut der Menschen tönt laut. Doch die Mächtigen scheinen Watte in den Ohren zu haben. Ich beobachte einen gravierenden Widerspruch: Schaue und höre ich den Politikern und Medien zu und vergleiche das mit den Menschen auf der Straße, stelle ich fest, dass deren Worte zu den gleichen Themen nicht die gleichen sind. Obwohl die Politiker und Persönlichkeiten aus Presse, Funk und Fernsehen behaupten, im Namen des Volkes zu sprechen, ist das Gegenteil der Fall.
Wenn Menschen, viele Menschen auf den Straßen und Plätzen demonstrieren und lautstark Frieden und eine soziale, eine verbindende Politik fordern, spüre ich die Wichtigkeit und die wirkliche Berechtigung. Was ist dagegen zu sagen, wenn die Leute rufen, dass die Waffen auf beiden Seiten schweigen sollen, dass man innehält, statt weiter zu eskalieren? Doch die offiziellen Antworten auf das Engagement des Volkes lauten, dass in den Nachrichten im Fernsehen, in führenden Zeitungen und Internetplattformen genau diese Menschen geradezu diffarmiert und lächerlich gemacht werden. Wie können die nur Frieden fordern, fragen sich die Eliten, arrogant lästernd über ihr Volk. Der deutsche Rheinmetall-Konzern liefert teure Panzer. Neue Luftabwehrsysteme werden installiert. Der Feind ist bekannt.
Der Wahnsinn tobt im Angesicht der Inflation.  Wir wissen, die Inflation ist die Folge des Wahnsinns. Die Suppe auslöffeln müssen wir. Die Menschen wissen in der Zwischenzeit nicht, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen, die Preise sind enorm gestiegen. Wem nützt das alles?  Einfache Dinge des Alltags, der Frisörtermin, der Einkauf auf dem Wochenmarkt, der Besuch eines Restaurants – sie geraten zum Luxus. Die Sorgenfalten werden tiefer. Die Wut der Menschen größer.
Wir sind die Guten. Wirklich?
Gerade wird tagtäglich propagiert, Krise hin oder her: Die Deutschen stehen an der Seite der Ukrainer und finden es richtig, dass der Krieg bis zum Sieg weitergeführt wird, Waffen geliefert, dagegen Verhandlungen und Innehalten tabu sind. Die führenden, im wahrsten Sinne des Wortes Ton angebenden Medien in Deutschland verlautbaren gerade dies als allgemeingültige „Haltung“, sie ist Stoßrichtung von Regierung und maßgeblichen Mitspielern des politischen Geschehens. Und auch das wird laut posaunt und das permanent: Der Russe ist schlecht – der Ukrainer ist gut. Der Russe ist schlecht – der Amerikaner, die NATO, der Westen – wir sind die Guten. Russen bekommen keine Einreiseerlaubnis.
Das Gefühl gegen Russland wird gern aufgenommen, um Stimmung zu machen. Es stimmt zwar, dass ich gegenüber den Russen skeptisch bin, doch heute muss Vernunft her – wir können nicht ewig auf Ablehnung und Strafen und Sturheit setzen. Denn den einfachen Russen sind wir nicht fern. Leider ist es so, dass unsere Regierung, diese ganzen Großen, Wichtigen und Reichen nur mit sich zu tun haben und mit dem Kriege und Konfrontation Schüren. Wir einfachen Leute wissen das. Wir kommen nur schwer dagegen an. Ja, ich musste Russisch lernen, um studieren zu dürfen. Ich habe es gehasst. Aber es ist nicht so, dass ich das jetzige Russland mit der Sowjetunion von damals gleichsetze. Sie sind keine Feinde von uns. Im Gegensatz dazu wird von uns permanent Freundschaft zu den Amerikanern verlangt. Richtig ist, sie haben gerade ganz Europa in der Hand. Sieht das keiner?
Die Erzählung über den bösen Russen ist lange beschlossen. Sie wird täglich wiederholt und entsprechende Folgerungen gezogen. Klar, wenn man einen Feind hat … In den Medien ist von Waffenlieferungen, von Grenzkontrollen, von Aufrüstung, von Luftwaffe, von Manövern und Ablehnung der Russen die Rede. Deutschland rüstet auf, 100 Milliarden sind nur der Anfang. Mitten in Europa – umgeben von lauter Freunden? Immer mehr erkennen derlei Irrsinn längst als solchen, im Gegensatz zu denen, die sich in amerikanischer Gefolgschaft befinden. Viele Otto-Normal-Bürger folgen nicht dem geistigen Marschbefehl. Und sie weichen auch nicht der Drohung, „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“. Ich sage mit Stolz, was mir nicht passt, widerspruchslose Gefolgschaft ist nicht meine Sache. Diese ist mir im letzten Jahrzehnt der DDR mit aller Härte abgepresst worden. Damit ist jetzt Schluss.
Und die vom Bundestag letzten Donnerstag beschlossene Gesetzesänderung, mit der künftig Menschen, die etwas von sich geben, was wie eine "Verharmlosung der russischen Kriegsverbrechen" aussieht, wegen "Volksverhetzung" bestraft werden sollen, zeigt mir ganz deutlich, welcher Weg in diesem Deutschland gegangen wird. Presse- und Meinungsfreiheit sind nur noch leere Worthülsen. Das kenne ich auch aus der DDR.


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