Suizid schon im Vorfeld verhindern

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Suizid schon im Vorfeld verhindern

Autor und Texter Lutz Sehmisch
Veröffentlicht von Lutz Sehmisch in Seelische Gesundheit · Dienstag 13 Sep 2022
Bei über 90 Prozent der Suizidopfer finden sich Hinweise auf eine vorhergehende psychische Erkrankung. Bei psychisch Gesunden hat die Natur einen starken Riegel vorgeschoben: Selbst Menschen mit großen Problemen nehmen sich normalerweise nicht das Leben. Sie sind noch in der Lage, Hoffnung zu empfinden, was in einer Depression nicht mehr möglich ist.
 
Die falsche Überzeugung, es gäbe keinerlei Ausweg aus der aktuellen Lage, ist typisch für Depressionen. Dieses tiefe Gefühl der Hoffnungslosigkeit in Verbindung mit Schlafstörungen, übertriebenen Schuldgefühlen, tiefer Freudlosigkeit und Erschöpfung erzeugen einen hohen Leidensdruck. So entsteht der Wunsch, dieser unerträglichen Situation wie auch immer zu entkommen, bis hin zu dem Gedanken, sich etwas anzutun.
 
Ob die Entscheidung zu einem Suizid plötzlich oder mit Vorlauf fällt, ist unterschiedlich. Bei manchen Menschen mit psychischen Erkrankungen kann der Entschluss zur Selbsttötung sehr spontan einschießen, so dass sie sofort versuchen, sich das Leben zu nehmen. Andere planen wochenlang ihren Suizid.
 
laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe
 
Und entgegen manchen Vorurteilen, stimmt es nicht, dass sich Menschen, die von Suizid sprechen oder ihn ankündigen, nichts antun. Alarmzeichen für eine ernste Gefährdung sollten große Hoffnungslosigkeit und Äußerungen sein, wie: "Es hat ja doch alles gar keinen Sinn mehr ..., irgendwann muss auch mal Schluss sein ..., es muss jetzt was passieren ... ".
 
Viele Menschen regeln vor einem Suizid Dinge, die ihnen wichtig erscheinen. Beispielsweise verschenken sie Wertgegenstände, setzen ihr Testament auf oder verabschieden sich von ihren Freunden und Verwandten. Wer fest zum Suizid entschlossen ist, wirkt oft ruhiger, gefestigter und weniger verzweifelt als vorher. Die Mitwelt kann zu dem trügerischen Schluss kommen, es gehe endlich wieder aufwärts mit dem depressiven Menschen.
 
Die Krankheit kann nicht nur Menschen in schwierigen Lebenssituationen treffen. Die äußeren Faktoren werden häufig überschätzt. Entscheidender ist oft, ob jemand die Veranlagung dazu hat. An einer Depression können also auch erfolgreiche Menschen erkranken, denen es objektiv gesehen gut geht.
 
Insbesondere durch die Maßnahmen gegen die Pandemie hatten viele Menschen berufliche Sorgen, gesundheitliche Ängste, häusliche Konflikte. Sie waren demoralisiert durch fehlenden Sport, ungesundes Schlafverhalten oder sozialen Rückzug. Das sind zunächst keine krankhaften, sondern ganz menschliche Reaktionen. Bei Menschen ohne Veranlagung führen sie zu keiner depressiven Erkrankung. Für Menschen mit Veranlagung können die Folgen immens sein. Fast die Hälfte haben bei einer Befragung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe in Kooperation mit der Deutsche Bahn Stiftung über depressive Rückfälle, Suizidgedanken berichtet, einige sogar über Suizidversuche in den vorhergehenden sechs Monaten.
 
Diese Verschlechterungen standen im klaren Zusammenhang mit der Abnahme der medizinischen Versorgungsqualität (z.B. stationäre Behandlungen wurden abgesagt, Versorgungsangebote heruntergefahren, Selbsthilfegruppen gecancelt); aber auch mit anderen Folgen der Corona-Maßnahmen, wie weniger Bewegung und längere Bettzeiten, von denen bekannt ist, dass sie ganz spezifisch Depressionen verschlechtern können. Hochgerechnet könnte es bei circa zwei Millionen Menschen zur Verschlechterung ihrer Depression gekommen sein. Hier wurde sehr viel Leid und ich denke auch Tod verursacht. Eine stille Katastrophe. Die Politik muss die negativen Folgen der Maßnahmen deshalb sorgfältig und systematisch zusammentragen, um künftige Maßnahmen gegebenenfalls zu optimieren. Meine Sorge ist, dass das nicht passiert.
 
Von der Pubertät bis ins hohe Alter sind Depressionen häufige Krankheiten. In Deutschland erkranken jedes Jahr 5,3 Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Depression. Es gibt aber keine großen Unterschiede, was das Alter angeht. Obwohl ältere Menschen wegen Verlusterlebnissen oder körperliche Erkrankungen oft mehr Gründe hätten depressiv zu sein, erkranken sie sogar eher seltener.
 
Und wie erkenne ich, dass ein Mensch in meinem Umfeld an Depressionen leidet?
 
Da gibt es einige Warnsignale: Der Mensch zieht sich zurück und lässt seine Hobbies ruhen. Er neigt zu Schuldgefühlen und äußert unter Umständen, er sei eine Belastung für seine Mitmenschen. Ihn quälen hartnäckige Schlafstörungen und eine innere Unruhe. Er isst nicht mehr richtig und verliert an Gewicht. Seine Stimme wird leiser, er will nichts mehr unternehmen und verliert auch das Interesse am Austausch von Zärtlichkeiten.
 
Einzige Möglichkeit der Hilfe ist hier, den Weg in eine professionelle Behandlung zu bahnen.
 
Wenn der Betroffene nicht mehr die Energie und auch keine Hoffnung hat, dass ihm geholfen werden kann, dann  ist das ein großes Problem. Umso wichtiger ist es, dass die Angehörigen sich dieser Last annehmen, einen Arzttermin vereinbaren und den Betroffenen nach Bedarf auch dorthin begleiten.
 
Wichtig ist beim Arztbesuch aber, dass der Patient ihm auch seine psychischen Beschwerden wie finstere Gedanken und Schuldgefühle mitteilt, nicht nur die körperlichen Symptome.
 
Der Großteil der Behandlungen erfolgt durch die Hausärzte. Bei schwereren und hartnäckigen Depressionen sollte dann aber ein Facharzt hinzugezogen werden, also ein Psychiater oder Nervenarzt. Neben den Antidepressiva ist die Psychotherapie die zweite wichtige Säule der Behandlung. Diese wird von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten angeboten. Mit den Ärzten sollte besprochen werden, ob im Einzelfall eine Psychotherapie, eine medikamentöse Behandlung oder beides sinnvoll ist.
 
Wenn die betroffene Person eine akute Krise hat sollte man als Angehöriger entweder gleich mit ihm in eine Klinik fahren, oder den Notarzt holen, oder auch die Polizei, wenn die Angst besteht, dass sich der Betroffene unmittelbar etwas antun will.
 
Und was kann man tun, wenn man einen akut suizidgefährdeten Menschen kennt?
 
Sprich das Thema an! Wenn du den Verdacht hegst, dass ein Freund oder Angehöriger suizidgefährdet ist, solltest du ihn in ruhiger und sachlicher Weise direkt darauf ansprechen. Die Befürchtung, man könne dadurch den Suizid erst provozieren, ist falsch. In aller Regel stellt es für einen suizidgefährdeten Menschen eine Entlastung dar, mit einer anderen Person über die quälenden Gedanken sprechen zu können.
 
Versuch professionelle Hilfe hinzuzuziehen!  Versuchen dich nicht als Therapeut, sondern unterstütze den Betroffenen, professionelle Hilfe zu suchen. Ansprechpartner bei Suizidgedanken sind Fachärzte wie Psychiater und Nervenärzte, Psychologische Psychotherapeuten und Hausärzte.
 
Sorge für den Menschen! Zeige deinem Gegenüber, dass du ganz für ihn da bist. Übernimm in der akuten Situation Verantwortung für den anderen. Begleite die gefährdete Person zum Arzt oder in die Klinik. Nachts kann das die psychiatrische Notfallambulanz sein, aber auch der ärztliche Notdienst.
 
Wenn ein Mensch unmittelbar von Suizid bedroht ist, aber nicht mehr über ein Gespräch erreichbar und nicht bereit ist, gemeinsam Hilfe aufzusuchen, so sollte zu seinem Schutz der Notarzt verständigt werden. Bitte berichte dem Notarzt genau von der Situation und lass den betroffenen Menschen bis zum Eintreffen des Notarztes nicht allein.
 
Achte dabei unbedingt auf dein eigenes Wohlergehen. Eine Person mit Selbstmordgedanken im privaten Umfeld, kann für Angehörige sehr belastend sein. Suche dir auch selbst professionelle Hilfe, wenn du merkst, dass die Situation dich zu sehr belastet.
 
Es gibt auch ein Infotelefon von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe mit der Telefonnummer 0800-3344533. Unter www.diskussionsforum-depression.de betreibt die Stiftung auch ein Diskussionsforum, in dem Patienten und Angehörige ihre Erfahrungen austauschen, und das professionell moderiert wird.
 
Ich kenne zahllose Menschen, die trotz der Erkrankung Depression ein erfolgreiches und erfülltes Leben führen.
 


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