Deutschland nimmt unter Kanzler Scholz faktisch am Krieg teil
Veröffentlicht von Lutz Sehmisch in Gewalt und Krieg · Montag 03 Okt 2022
Jeder Mensch wird in
eine vorgefundene Geschichte hineingeboren. Sie prägt das Denken und sein
Handeln. „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf
dem Gehirne der Lebenden“, heißt es bei Karl Marx. Wer also verstehen will,
warum ich eine sehr kritische und nach allen Seiten hin skeptische Haltung
gegenüber dem Krieg Russlands in der Ukraine einnehme, sollte in diese
Lebensgeschichte eintauchen. Viele Menschen der Nachkriegs-Enkelgeneration
werden sich sicherlich wiedererkennen.
Schon Wilhelm II., die Generalität und kriegerische
Nationalisten hatten das deutsche Volk in ein fürchterliches Schlachtengewitter
getrieben, mit dem Ziel, Deutschlands Weltgeltung zu sichern. Leider hatten
auch die Sozialdemokraten bis auf wenige Aufrechte im Reichstag den
Kriegskrediten zugestimmt. Noch in den Monaten vor Ausbruch des Weltkrieges
hatten Hunderttausende in ganz Europa für den Erhalt des Friedens demonstriert.
Aber im August 1914 eroberte der Nationalismus endgültig die Köpfe und Herzen.
Seit Clausewitz heißt es, dass Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen
Mitteln sei. „Gewalt ist die Ultima Ratio“. Auch in allen heutigen Parteien
wird dieser Grundsatz immer noch deklamiert, obwohl er nichts weiter ist als
die Ultima Irratio, wie Willy Brandt am 11. November 1971 so prägnant
formulierte.
Das Scheitern der Weimarer Republik führte zur Diktatur der
Nationalsozialisten und zur Fortsetzung des Weltkrieges. Nationalisten,
Monarchisten und Antidemokraten waren die Totengräber, sicher auch, weil der
Versailler Friedensvertrag die Saat des Hasses lebendig erhielt und die
imperialistischen Großmachtfantasien wie „am Deutschen Volke sollen alle
genesen“ die Köpfe vieler beherrschte.
Nur bruchstückhaft erzählten mir meine Großeltern und Eltern von
ihren Kriegserlebnissen. Insbesondere Gefühle schlossen sie tief in sich ein,
sodass ich nie wirklich erfuhr, was die Überlebenden traumatisch erlitten
hatten, wie auch Millionen andere. Gleichwohl wurden die Kriege, von
Verbrechern vom Zaun gebrochen, Elemente seiner verletzlichen Seele. „Nie
wieder Krieg“ – das prägt mich bis heute.
Mein Leben wurde geprägt vom Kampf gegen Naziverbrecher und
gegen die US-Kriegsverbrechen in Vietnam, vor allem für eine tolerante und
gerechte Gesellschaft.
Es war ein Wandel, der die BRD und die DDR für Jahrzehnte
beeinflusste, einerseits für eine freiere Gesellschaft, für die Emanzipation
der Frauen und dem Gang durch die Institutionen, andererseits durch
gewalttätige Irrwege einer kleinen Minderheit in Form des RAF-Terrors. Vieles
erfuhr ich über den Nationalsozialismus. Zum Beispiel, was damals weder die
Schule noch der eigene Vater vermitteln konnten oder wollten. Ich hatte bis
dahin nicht gewusst, dass es in meiner unmittelbaren Heimatregion
Konzentrationslager gab. Außerdem hatten Altnazis in der Bonner Republik, wie
auch in der DDR noch erhebliche Karrieren gemacht, Juristen, Ärzte, Militärs,
Ministerialbeamte und viele mehr.
Und heute bin ich wieder zutiefst besorgt über die politische
Entwicklung in Deutschland und in Europa.
Die Waffenlieferungen an die Ukraine, das „riesige
Aufrüstungsprogramm“ für die Bundeswehr, auch die öffentliche Entschuldigung
des jetzigen Bundespräsidenten und früheren Außenministers Frank-Walter
Steinmeier dafür, dass die Bundesregierung viele Jahre Russland in eine neue
Friedensordnung einbinden wollte – das ist für mich Verrat an den Grundwerten unserer Gesellschaft, geprägt von Willy Brandt, neuer
Ostpolitik und Wandel durch Handel – eben Friedenspolitik.
Dass diese SPD in einer neuen Realität Politik machen muss, dass
Russlands Angriff auf die Ukraine die friedlichen Möglichkeiten nach 1991
endgültig zerstört hat, dass in der Ukraine Millionen von Menschen ums nackte
Überleben kämpfen, das sehe ich auch, aber ich ziehe meine eigenen Schlüsse
daraus: Die Vorgeschichte der geopolitischen Strategen muss auch in Rechnung
gestellt werden:
Die USA will diesen Krieg, um in der seit Ende des Kalten
Kriegs destabilisierten Welt ihre Vormachtstellung zu behaupten. Es ist ein
Stellvertreterkrieg der Großmächte Russland und USA, ein Wirtschafts- und
Kulturkrieg um die „Rohstoffe der Welt“. Die EU hat zwar auch eigene
Interessen, ist aber inzwischen lediglich ein „Vasall der USA“, die selbst für
zahllose Kriegsverbrechen in der Welt verantwortlich ist. Zudem bereiten sich
die gesellschaftlich gespalteten USA auf den Krieg mit China vor. Die bisher
einzige Weltmacht kann es wohl nicht verkraften, dass ihre Position in der Welt
infrage gestellt wird. Und auch die EU hat eigene, fast imperiale Macht- und
Wirtschaftsinteressen. Eine Außenpolitik der Friedenssicherung ist das nicht.
Wie können wir es verantworten, mit unseren Waffen und unseren
Worten den Krieg in der Ukraine anzuheizen, frage ich und es ist klar, dass das
Morden und das Sterben aller Soldaten und Zivilisten in der Ukraine bei mir
völliges Unverständnis und Mitgefühl auslöst. Ich zweifle daran, dass es in der
Ukraine wirklich um unsere Freiheit geht und dass Wirtschaftssanktionen Wirkung
auf Putin haben. Im Gegenteil, sie treffen ja uns mehr als Russland. Jeder
Krieg ist ein Verbrechen. Menschen werden getötet und verletzt, ukrainische wie
russische. Wer wirklich dafür verantwortlich ist, ist nicht so klar, wie es
scheint.
Nein, ich bin kein „Putin-Versteher“, auch wenn Menschen, die so
denken wie ich, zurzeit gerne durch eine solche Schublade diskreditiert werden.
Ich bin einfach nur ein Idealist, ein Pazifist, einer, der den Fokus auf die
Verhinderung von Krieg und Gewalt richtet und kein Öl in das Feuer gießt, wie
insbesondere die grüne Außenministerin.
Ich bin für einen realistischen Pazifismus und kein irrationaler
Dogmatiker wie z.B. Anton Hofreiter, Ralf Fücks und Co. Darauf bin ich stolz.
Im Namen meiner Kinder und Enkel, denen ich eine friedliche Zukunft und keinen
Weltkrieg wünsche. Die Außenpolitik der Bundesrepublik ist leider nicht mehr
realistisch, sondern dogmatisch und verfolgt nicht den geringsten Plan, wie der
Krieg hätte vermieden werden können, und hat auch keinen, wie er jetzt nach dem
Ausbruch beendet werden kann.
Inzwischen wird immer klarer, dass die Eskalation des Krieges
immer neue Formen annimmt und in unserem Land die Folgen der deutschen
Außenpolitik der faktischen Kriegsteilnahme das Land und die Menschen in eine
fast ausweglose Krise geführt hat.
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